Urlaubstraum

von Monika Zenker

 

Nele stand im Barockpark, den Blick auf die hochgewachsenen Bäume und den Herkules, das Wahrzeichen der Stadt, gerichtet. Wie fast jeden Sonntag verfolgte sie die Wasserspiele, lief über die Wiesen des Bergparks, hörte das Konzert der Kapelle, das über die grünen Flächen schallte, und atmete den Duft der Blüten aus den vielen Blumenkübeln und Beeten ein. Das Wetter war sehr angenehm, nicht zu drückend, sogar ein leichter Luftzug war an diesem Sommertag zu spüren. Die Vögel zwitscherten und Nele, die es liebte, in der Natur unterwegs zu sein, konnte den Enten beim Baden zuschauen.

Ihre Freunde waren alle in ferne Länder unterwegs, denn es war Urlaubszeit und was lag da näher, als sich Träume zu erfüllen.

Sie hatte ein Gänseblümchen auf der Wiese entdeckt, es gepflückt und malte sich den Sommer aus. Vielleicht würde es so warm werden, dass sie ins Auebad gehen könnte, oder sie würde abends Gesellschaft in einem der Biergärten finden. Schön fände sie auch, sich ein Feuerwerk bei einem der sommerlichen Bergparkfeste anzusehen. Trotz dieser vielen Möglichkeiten spürte sie, wie sich bei dem Gedanken, nicht reisen zu können, ein Tränenschleier über ihre Augen legte, denn das, was sie verdiente, war nicht genug, um sich in der Welt umzuschauen.

Plötzlich schwirrte etwas um ihre Nase. Aus den Augenwinkeln nahm sie einen kleinen Lichteffekt wahr. Nele vermutete, dass es ein Strahl der Sonne wäre, und schaute über die Baumreihen. Aber das konnte nicht sein, denn die hatte sich gerade hinter einer Wolke versteckt. Sie schlug mit der Hand nach dem Punkt, der sie irritierte.

»Hihi, so schnell, wie ich bin, wirst du mich nicht bekommen«, hörte sie eine Stimme sagen. Sie blickte sich um und dachte nur, einen leichten Sonnenstich bekommen zu haben.

»Ich habe gesehen, wie traurig du in diesem Park umhergingst. Wenn du möchtest, erfülle ich dir deine Träume. Ich bin eine gute Fee, deshalb wäre es nett, wenn du nicht mehr nach mir schlagen würdest«, flüsterte ihr diese Stimme ganz leise ins Ohr.

»Da ist doch irgendwo die versteckte Kamera?« Nele blickte in alle Richtungen, sah aber niemanden.

»Nenn mir einfach einen Wunsch und du wirst sehen, dass ich keine Illusion bin«, antwortete die kleine Fee.

»Okay, da ich ein neugieriger Mensch bin, werde ich mich auf dieses Abenteuer einlassen. Du kannst gern zeigen, was du kannst.«

Nele schmunzelte, da sie immer noch der Meinung war, dass man sie verschaukeln wollte.

»Dann nenne mir deinen Wunsch!«

»Lass mich mal überlegen … Ich möchte wie meine Freunde in andere Länder reisen und den Himmel auf Erden sehen.«

Es blitzte und donnerte und Nele sah ein Meer von Rubinsteinchen um sich herumwirbeln, die sich unter ihren Füßen sammelten, als würden sie in einer Sanduhr durch den Trichter laufen. Ihr wurde schwindelig von diesem Farbenglitzer und im nächsten Moment wurde sie mit hineingezogen. Es wurde dunkel, aber nach und nach sortierten sich die Farben wieder und sie glaubte kaum, was sich um sie herum als Landschaft aufbaute. Sie stand mitten in den Bergen auf einem Gipfel und rings herum waren klaffende, nackte Bergwände. Die Aussicht war atemberaubend. Ein Gipfel türmte sich hinter dem anderen und man sah direkt in die Sonne. Aber es war beißend kalt und so weit oben, dass sie sich fragte, wie sie wieder ins Tal käme.

»Ganz ehrlich«, sagte Nele enttäuscht zur kleinen Fee, »jetzt bin ich zwar dem Himmel ein Stück näher und der Ausblick ist einzigartig, aber es ist so höllisch kalt und ich bin dafür falsch angezogen. Du hättest mich auf dem Hohen Meißner absetzen können. Da sind Wälder und saftige Wiesen, und hoch genug ist es auch um weit zu schauen. Es ist nicht so kalt und ich könnte um den Frau-Holle-Teich wandern und die Landschaft genießen.«

Sie hatte ihre Worte noch nicht ganz ausgesprochen, als es wieder donnerte und blitzte. Sie befand sich erneut in einem wirren Farbenspiel. Es dauerte nur einen kleinen Augenblick, dann sah sie Sternschnuppenregen an sich vorüberziehen. Als würde sie auf einer Spirale stehen und diese zog sie drehend an den kleinsten Punkt heran. Es wurde immer dunkler um sie herum. Einen kurzen Moment später löste sich die dunkle Hülle auf und es erstrahlte eine farbenprächtige Landschaft.

Nele stand in einem sehr heißen Land und rund herum, so weit das Auge reichte, war sandige Steppe. Ein kleiner See, dazu eine Palme und es sah aus, als wäre sie in einer Oase inmitten der Wüste. In der Ferne zog eine Karawane durch den Sand. Als die Männer mit ihren Kamelen herankamen, schienen sie Nele gar nicht wahrzunehmen und sie schaute ihnen zu, wie sie ihre Lager aufschlugen. Sie hörte die Stimmen der Männer, verstand sie aber nicht. Als sie am Abend die Sterne betrachtete, bestaunte sie das erste Mal in ihrem Leben das Kreuz des Südens, ein Sternbild des Südhimmels, das mit seinen vier hellsten Sternen ein Kreuz bildet und weit über die Grenzen des Landes bekannt war.

Sie schaute zur kleinen Fee und sagte: »Es ist einfach himmlisch an einem außergewöhnlichen Platz der Erde. Tagsüber wird es aber so unerträglich heiß, und die fremden Stimmen verunsichern mich. Muss ich jetzt auf einem Kamel durch die Hitze reiten? Da ich kein Tuch dabei habe, um den Sand aus meinem Mund fernzuhalten, kein Wasser, um meinen Durst zu löschen, bin ich hier auch irgendwie falsch.

Das ist nicht das, was ich suche. Da hättest du mich auch in unsere Planetarien entführen können. Ich hätte einen Platz, an dem ich mich setzen könnte. Es wäre angenehm kühl und die Sterne würde man mir erklären. Es wäre einfacher gewesen und genauso ein Erlebnis.«

Die Fee stand einen Moment da und zupfte mit den winzigen Fingern an ihrem Näschen: »Lass mich überlegen …« Es blitzte und donnerte erneut und ein weiteres Farbenspiel erschien. Nele war froh dieser Hitze entkommen zu sein. Sie wollte die Fee aber nicht enttäuschen, da sie sich so große Mühe gab.

Es dauerte nur ein paar Sekunden und sie war an einem anderen Platz der Erde. Jetzt war sich die Fee sicher, dass es der richtige Ort für Träume wäre.

Nele drehte sich im Kreis und sah sich um. Sie stand an einem Meer, das riesig war. Hier tummelten sich viele Badeurlauber und lagen sogar im Wasser, lasen Zeitung oder ließen sich an der Oberfläche treiben. Der Strand war nicht aus Sand, sondern Kristalle schimmerten auf der ganzen Fläche und als Nele sie genauer anschaute, wusste sie, dass sie von Salz umgeben war. Das also war das Tote Meer, dachte sie.

»Ich weiß nicht was ich sagen soll, liebe Fee«, sagte sie, als sie sich weiter umsah: »Das ist auch ein wunderschöner Platz, aber irgendwie ist es nicht das, was Träume für mich ausmachen. Ich würde dich gern auf eine Cola oder ein Eis einladen, in einer wunderschönen Stadt mit einer Saline. Da kann man spazieren gehen, die salzhaltige Luft einatmen und in der Altstadt bummeln gehen.«

Die Fee zuckte mit den Schultern: »Ich verstehe dich nicht. Aber ich versuche es noch einmal, vielleicht ist es das, was dich an das Paradies erinnert.«

Nele hörte es wieder donnern und es blitzte, dabei sah sie wie vorher ein buntes Farbenspiel.

»Das ist es, das ist der Himmel auf Erden!«, rief sie begeistert und drehte sich um die eigene Achse. Sie konnte es kaum fassen, denn sie stand mitten in Kassel, im Bergpark, der ihr am liebsten war. Sie sah den Herkules und dachte an die wunderschönen Dinge, die sie diesen Sommer unternehmen wollte.

»Ja, liebe Fee, das, genau das ist es!«

»In Kassel und Umgebung, da liegt mein Paradies, da habe ich Berge, die zwar nicht so hoch sind, aber wandern kann ich dort in grünen Auen und Feldern und mit jedem Blick sehe ich, was uns Gott für eine Pracht beschert hat. Ich fühle mich wohl, da ich bei den Temperaturen atmen kann. Es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt. Es regnet auch mal, da freuen sich die Blumen und die Tiere.

Ich schaue mir gern die Fachwerkhäuser an und esse am liebsten hiesige Spezialitäten wie die Ahle Wurscht. Und ich mag Spaziergänge in der Natur, die Blumenpracht und die vielfältige Tierwelt. Hier gibt es Schlösser, Ruinen und Altertumsschätze. Warum kam ich nur auf die Idee in ein anderes Land reisen zu müssen, um etwas zu erleben, wenn mir die Heimat doch so lieb ist. Ich möchte an keine anderen Orte der Erde mehr gebracht werden, so schön sie auch sein mögen. Der Himmel auf Erden ist dort, wo man sich wohl fühlt, in der Heimat, genau hier.«

Die Fee sah, wie Nele tief durchatmete.

»Ich danke dir, dass du mir die Fremde ein wenig nähergebracht hast und mir zeigtest, dass die Erfüllung meiner Wünsche gar keine Ferne braucht.«

 

Da freute auch die Fee sich, drehte sich im Kreis und verschwand in einem Glitzerregen. Nele strahlte, lief über die Wiese und hatte das Gefühl der Heimat nie näher gewesen zu sein als in diesem Moment.

 

 


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